Segelleben

Wir sind angekommen. Auf dem Wasser. Bei unserem Boot, den Wellen und dem Wind.

Dennoch mache ich mir immer noch fast in die Hose, sobald die Windstärke 4 Beaufort übersteigt, die Krängung zunimmt oder wir in einen unbekannten neuen Hafen einfahren und uns das Hafenmanöver bevorsteht. „Nervöse Segler“, nennen dies die echten Seefahrer. Sandwichs essen, die nirgendwo anders so gut schmecken, wie auf dem Wasser; den Wind in den Haaren; nichts als das Geräusch von Wasser, welches der Bug vor sich herschiebt; Zeit, die Gedanken wandern zu lassen; den weiten Blick übers Wasser – Segelerlebnisse, wie ich sie von Mallorca, Kroatien oder dem Neuenburgersee her kenne.

Doch das Segelleben ist anders. Der Wind braust um unsere Ohren, wir schaukeln auf unserer Nussschale durch die Wellentäler Reverse Phone Lookup , sind ganz auf uns alleine gestellt. Am Horizont türmen sich die Gewitterwolken. Müssen wir das Segel dicht nehmen oder zieht das Unwetter an uns vorbei? Unberechenbar schnell kommt der Regen, sintflutartig. Die Sicht reicht nur noch wenige hundert Meter weit. Innert Sekunden sind wir klatschnass. Ich friere, frage mich, wieso zur Hölle ich mich freiwillig in diese Situation begebe, mich dieser Gefahr aussetzte. Und wenn es ganz ungünstig kommt, beisst genau in diesem Moment noch ein Fisch an die Angel und Tobias kann sich auf nichts anderes mehr konzentrieren, als seinen Fang in Sicherheit zu bringen.

Segeln heisst sicher ankommen, habe ich irgendwo aufgeschnappt. Wenn wir in eine schöne Bucht einlaufen und Anker setzten, ja, dann ist es wunderschön. Wir schauen den Schildkröten zu, amüsieren uns ab den missratenen Ankermanövern anderer, trinken Rum, lesen, spielen, schreiben, schwimmen, schnorcheln, kochen und schlafen bald ein, nachdem die Sonne untergegangen ist. Nachts ist das Boot wie ein kleines Kind, verlangt alle zwei Stunden nach unserer Aufmerksamkeit und reisst uns aus dem Schlaf: Der Ankeralarm geht an (d.h. wir haben uns aus dem definierten Ankerradius hinausbewegt, meist ist es nur ein GPS-Fehler), es beginnt zu regnen, alle Luken müssen geschlossen werden, das Schaukeln nimmt zu und Gegenstände fallen aus den Regalen, alles schwingt hin und her. Hält der Anker noch? Zuhause gibt es kaum eine Nacht, die ich nicht durchschlafe. Hier gibt es kaum eine Nacht, in der ich nicht aufstehe. Doch auch nachts ist die Stimmung manchmal wunderschön. Das spiegelglatte Meer bereitet sich aus, so weit das Auge reicht, vom vollen Mond und den unzähligen Sternen beschienen. Rundherum schaukeln vereinzelt die Masten der Nachbarboote. Und geht frau nachts auf die Toilette, dann flutscht beim spülen der Leuchtplankton die Schüssel hinunter.

Roman: Schweizer Schwergewicht älteren Semesters, gutmütig, grossherzig und unglaublich weise, umrundet mit seiner Frau Ingrid seit 28 Jahren die Welt. Ja, es gibt sie wirklich, diese heimatlosen Freigeister, die überall und nirgendwo zu Hause sind, die Stürmen und Piraten trotzen und alle bemitleiden, die einen anderen Lebensweg wählen. Sieht man die Zwei adrett gekleidet im Restaurant sitzen, würde man nie vermuten, dass es sich um Segler handelt. Ihr Boot hat seine ganz eigene Geschichte zu erzählen: bei einem Piratenangriff vor der Küste Somalias fanden auf ihm acht Menschen den Tod (siehe Quest).

Arthur: Man stelle sich vor, George Clooney in der Rolle von James Bond, Freediver aus Südafrika, Speerfischer von Beruf, ausgewandert und mit dem Segelboot bis in die Karibik gesegelt. Morgens sehe ich ihn auf dem benachbarten Boot nackt übers Deck sprinten und schaue diskret weg. Später, als er bei uns im Cockpit steht und uns erklärt, wie wir beim Tauchen den Druckausgleich machen müssen, bedauere ich meine morgendliche Zurückhaltung insgeheim ein wenig. Ist das kleine Kind dort drüben auf seinem Boot wirklich sein Grosskind? Hält segeln tatsächlich so jung und fit?

 

5 Antworten auf „Segelleben“

  1. Wow. Welch mitreißende Erzählung. Fühle mich als hätte ich alles selbst erlebt.

    Den nackten Freediver von nebenan, die somalischen Piraten, die Furcht bei Sturm, den glänzenden Mond, den schweizerischen Freigeist, den Wind, das Meer….

    Und das alles, während ich in meiner Mittagspause beim Srilanesen kubanische Musik höre. Puhhh, jetzt muss ich erstmal wieder in die Gegenwart zurück und ab ins Büro ?

  2. hallo Ihr Segler! Danke für den neusten Bericht. Wunderbare Bilder und sehr schöner Text. Einfühlsam, gut beschrieben. So gut, dass wir das uns aus früheren Zeiten bestbekannte Rauschen des Wassers, das sich am Bug teilt, wieder in Gedanken erleben dürfen. Auch das Aufstehen in der Nacht, die ständigen Bedenken ob wirklich alles hält, wenn es mehr Wind gibt oder der Barometer fällt, das ist eben „der Preis“ dieser Freiheit. Ja, geniesst es. Weiter immer alles Gute. Wir freuen uns auf den nächsten Blog.
    Mit „oberhöflichen“ Grüssen, Beat u. Marinette

  3. Hallo Ihr Weltumsegler!
    Wunderbare Bilder und Eindrücke – vielen Dank, dass ich es lesend miterleben darf. Reizen tut das Segeln schon, aber ob ich die Wellen aushalten würde….. In schönen Buchten ankern, das muss ein Traum sein.
    Weiterhin eine gute Zeit, viel Freude am einfachen Leben und dem Segeln.
    Herzliche Grüsse aus der grau/weissen Schweiz. Hat geschneit.
    Liz

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.